Freitag, 21. Januar 2011

Mit dem Tzute auf der Schulter

Mit unseren Sprachlehrern und einem bunt bemalten, ausrangierten US-Schulbus fuhren wir heute früh nach San Antonio Aguas Calientes, 10 km in Richtung des (wie immer) fröhlich vor sich hin paffenden Fuego-Vulkans. In der kleinen Mayastadt besuchten wir eine Kooperative von Frauen, die uns die Bedeutung der Mayastoffe und ihrer Farben erklärten und von den hiesigen Hochzeitsriten erzählten. Nachdem der Bus mit Müh und Not die engen Gassen von San Antonio gemeistert hatte, setzten wir uns in eine einfache Wellblechbaracke, die von innen eine Art Maya-Showroom war, mit zwei Weberinnen, einem kleinen Mädchen, einer noch kleineren Katze und jeder Menge Verkaufsartikel: Stoffe, Hängematten und Holzschnitzereien.


Nach wie vor lernen die Mädchen das Weben am „Hüftwebstuhl“ zwischen dem 5. und 8. Lebensjahr von ihren Müttern. Das Weben gehört zum täglichen Leben wie das Wäsche waschen und Kochen. Auch die meisten Männer weben – allerdings an größeren Webstühlen. Einer der wichtigsten Stoffe im Leben einer Maya-Frau ist der Tzute. Der Tzute ist ein multifunktionaler, rechteckiger Stoff, ca. 60x120 cm. Er ist Hut, Jacke, Tasche und Baby-Björn in einem. Es gibt sehr einfache Varianten und sehr elaborierte. Junge, unverheiratete Frauen tragen einfache, gestreifte Tzutes über der Schulter. Die Tradition will es so, dass ein Mann, dem eine dieser Frauen gefällt, ihr einfach nur den Tzute von der Schulter nehmen muss (und sei es mitten auf der Straße), um den Hochzeitsritus einzuleiten. Noch am selben Tag treffen sich die Verwandten, später die Paten, um alles weitere zu regeln. Ein Ausstieg ist dann kaum noch möglich. Von diesem Moment an beginnt die zukünftige Braut, einen Super-Tzute für die Schwiegermutter zu weben. Sie hat dafür 7 Monate Zeit. Der Super-Tzute ist ein Wunder der Webkunst. Beidseitig in vielen Farben gewebt, finden sich oft kunstvolle Darstellungen des Quetzals, des Nationalvogels, darin. Wenn der Schwiegermutter der Tzute gefällt, trägt sie ihn auf der Hochzeit. Wenn nicht, ist das sehr unangenehm für die Braut. Sie gilt dann als schlechte Weberin.

Am eindrücklichsten von den Riten der eigentlichen Hochzeit blieb mir in Erinnerung, dass die Braut gegen 20, 21 Uhr von der Schwiegermutter eine kunstvoll gearbeitete Schürze geschenkt bekommt. Von diesem Moment an hören die Feierlichkeiten für die Braut auf: Sie gehört jetzt zum Personal. Sie hilft mit, die Tische abzuräumen, zu bedienen, abzuwaschen. 17 Jahre später wird sie dann auch eine kunstvoll gewebte Tzute von ihrer eigenen ersten Schwiegertochter bekommen.

Auf dem Heimweg klemmte sich der Bus wirklich an einer Ecke fest. Ein Auto hatte ungünstig geparkt. Glücklicherweise fahren in jedem guatemaltekischen Bus zwei Helfer mit. Sie versuchen, den Bus bei Bedarf von außen zu manövrieren, falschparkende Autobesitzer ausfindig zu machen, den übrigen Verkehr zu regeln und die Fußgänger zu warnen. (Vielleicht haben sie auch eine Geburtshelferausbildung. Bestimmt können sie auch weben.) Glücklicherweise behielt der Fahrer mit ihrer Hilfe die Nerven. Nach 15minütigem Manövrieren konnte er unter tosendem Applaus nach links, nach Antigua abbiegen.