Schlammlawinen sind heute nicht zu erwarten. Es ist seit Monaten trocken. Wir wollen uns dem Vulkankegel nähern und warten auf den Bus, der uns in das höchste Dorf am Vulkan, Santa Maria de Jesús bringen soll. Da hält vor uns ein Tuk-Tuk, eine Moped-Rikscha. Stirnrunzelnd steigen wir ein. Wie soll der mit uns Fünfen die 10 km und 500 Meter Höhenunterschied zum 2070 m hoch gelegenen Dorf überwinden? Die letzten Meter legen wir fast in Schrittgeschwindigkeit zurück. Aber immerhin: Es hat uns kein Bus überholt.
Auf dem Weg durch das Dorf begegnen wir in der Kathedrale einer Maya-Hochzeit und freuen uns, dass wir schon so viel über die Riten wissen (21.1.) und auf dem Markt einem zerlegten, halb ausgelöffeleten Gürteltier. Wir zögern für einen Moment – und trauen uns dann doch nicht zu kosten. Außerhalb der Stadt wird der Weg bergauf schmal und staubig. Es ist Mittagzeit und viele Arbeiter kommen uns mit ihren Pferden und ihrem Brennholz entgegen und wir müssen uns an den Rand des Weges pressen - sie haben jetzt Wochenende. Jeder grüßt „buenas tardes“, auch wenn der Holzstapel auf dem Rücken kaum das Hochschauen erlaubt. „Buenas tardes“ gefällt auch Laurenz und zählt wohl zu den wenigen festen spanischen Wendungen, die er sich schon angewöhnt hat. Irgendwann sind wir allein auf dem Weg. Den Krater können wir heute nicht erreichen. Angeblich soll sich in ihm ein Fußballfeld befinden.
Die Kinder, die anfangs über den Staub, die „dünne Luft“ und die Hitze geschimpft hatten, genießen plötzlich den Weg.
Wir wandern an Feldern entlang, überqueren kleine Schluchten und rasten schließlich zwischen Blumen und einem Bohnenfeld mit Blick auf Santa Maria. Komische Dinge gibt es zu sehen: einige Bäume sind ganz und gar von orangefarbenen Spaghetti bedeckt. Zwischen den vertrockneten Maispflanzen blühen Mandelbäume. Fröhlich gehen wir ins Dorf zurück und finden einen Mini-Bus, der nach Antigua hinunter fährt. Wir verstehen die Spanier. Es muss schön sein, hier zu wohnen. Es muss ja nicht gleich ein Palast sein. Und man muss halt ein bisschen aufpassen.
Samstag, 19. Februar 2011
Mit dem Tuk-Tuk auf den Wasservulkan
Montag, 14. Februar 2011
Knaller in Antigua und Bach in La Habana
Sind wir die einzigen, die diese Knallerei während der Messe als Störung empfinden? Offenbar ja. Denn unsere Sprachlehrer erklären uns, dass in Guatemala bei allen besonderen Heiligentagen vor Gotteshäusern geknallt wird – offenbar ausdrücklich in kirchlichem Auftrag. Ob auch Gott sich darüber freut?
Themawechsel:
Als sich Johann Sebastian Bach am 1. April 1730 aus einem bis heute ungeklärten Grunde in Havanna aufhielt, ärgerte er sich zwar über die „erbarmungswuerdig(e)“ Stimmung der Orgel der Kathedrale, war aber noch am selben Abend „hoechst erfreuet“ über zwei „froehliche Trommelspieler“ auf der Plaza, deren „beyder Töne einen guten generalbaß zu dem Gesange yhrer Stimmen abgaben“, wie er in seinem Reisetagebuch notierte. Von dem, was Bach während seines Kuba-Aufenthaltes komponiert hat, ist offenbar nur ein Exemplar in Havanna erhalten geblieben, welches erst Ende des letzten Jahrhunderts gefunden und bis jetzt vom kubanischen Kulturministerium geheim gehalten wurde, was wohl der wahre Grund für die zur Zeit schlechten Beziehungen zwischen Kuba und Deutschland sein mag.
Am Sonnabend erlebten wir allerdings in Antigua eine kubanische Band mit dem Namen „Tiempo libre“, die sich 280 Jahre nach Bachs Kuba-Besuch des barocken Erbes annahm und ein Programm mit dem Namen „Bach en la Habana“ spielte. Zu unserem Erstaunen mussten wir feststellen, dass bei ihrer Musik wenig von Bach zu hören war und die wenigen barocken Motive, die herauszuhören waren, den einschlägigen, bekanntesten Bachwerken entstammten: die sog. „Air“, ein Stück aus dem Notenbüchlein für Anna-Magdalena und irgendein Leitmotiv aus einem bekannten Konzert. Hat Bach in Havanna etwa doch nichts komponiert oder, was man ja von ihm kennt, lediglich einige seiner besten Kompositionen noch einmal neu verbraten? Oder war er am Ende gar nicht auf Kuba gewesen?
Donnerstag, 10. Februar 2011
Der sehr laute Ozean
Unsere Kinder sind begeistert. Sie sitzen im feuchten Sand und sehen die Welle aufschlagen. Dann werden sie vom Wasser umspült. Dann zieht das Wasser ab und sie stemmen sich mit ihrer kleinen Kraft dagegen, um nicht hineingezogen zu werden.
Wir waren in Monterrico, dem einzigen Ort an der guatemaltekischen Pazifikküste, der den Namen Badeort halbwegs verdient. Trotzdem laufen vor jedem zweiten Haus die Hühner frei herum.
Man hatte uns gewarnt: Geht lieber nicht ins Wasser, der Ozean ist so wild, die Wellen sind so hoch, wer weiß… Und doch schwammen wir irgendwann im warmem Wasser. Das besondere ist: Man kommt irgendwie hinein. Man muss eine Weile das Meer beobachten, nicht immer sind die Wellen hoch. Dann nichts wie rein. Außerhalb der Brandung vergisst man, wie wild sich das Meer am Strand gebärdet. Absolute Ruhe, leichtes Schaukeln, dreißig Grad warmes Wasser. Nur für den Ausstieg braucht man alle Konzentration und Energie. Mit der ersten Welle lässt man sich ans Land spülen. Hat man wieder Boden unter den Füßen, ist noch nichts erreicht. Denn das Wasser zieht einen mit ungeahnter Macht zurück ins Meer und die nächste Welle naht von hinten. Jetzt keine Angst, sondern umdrehen und am besten hindurchtauchen, wenn sie über einem zusammenschlägt. Dann wieder umdrehen und schnell ins Trockene stapfen, bevor die nächste Welle kommt.
Die beschriebene Situation findet man vor, wenn die Fahne am Rettungsschwimmerturm grün ist. Aber wehe dem, der bei gelb oder gar rot in den Stillen Ozean eintaucht! Was hier grün beflaggt wird, wäre an der Ostsee rot. Für Rot am Pazifik gibt es in Deutschland keine Farbe.
Den kleinen Wasserschildkrötenbabys, die am Samstagabend, ein paar Tage nach dem sie aus dem Ei geschlüpft waren, am Strand ausgesetzt wurden, erging es ganz anders. Sie wollten hinein, wurden aber von den Wellen zunächst wieder zurück auf den Strand geschleudert. Dieses Meer rauscht nicht, nein, es lärmt…
Dienstag, 8. Februar 2011
Quiet night of quiet stars
Allerdings gibt es noch etwas, was besonders nachts Geräusche macht und sogar Funken sprüht: Der Fuego-Vulkan. Obwohl er ungefähr 20 km entfernt ist, kann man seinen Kegel von vielen Plätzen Antiguas aus sehen. Rolando, der Bruder des Sprachschulkoordinators, bietet gelegentlich nächtliche Touren in die Nähe des Vulkans an. Vor ein paar Tagen hatte er Platz für uns fünf in seinem gemieteten Minibus. In einem 15 Kilometer entfernten Dorf hielten wir am Eingang einer Kaffeefinca, wo wir in einen Pick-Up wechselten, mit dem wir 20 Minuten lang bergauf auf den unbefestigten Wegen vorbei an den frischen, im Scheinwerferlicht leuchtend weiß strahlenden Kaffeeblüten fuhren. Der Platz auf dem Gipfel der Finca, der unser Ziel war, hätte bei etwas mehr Licht einen wunderbaren Ausblick auf die Vulkane geboten, wegen der kompletten Dunkelheit mussten wir uns allerdings zunächst auf den Sternenhimmel beschränken, bis sich die Augen an die Lichtumstände gewöhnt hatten und allmählich die Silhouetten der Vulkane zum Vorschein kamen. Da saßen wir nun und starrten auf einen dunklen Punkt in der Nacht: auf Baumstümpfen mit einem Bananenbrot und einer Packung Nachos. Man sagt, dass es eine Dramaturgie gibt, die in allen Hollywood-Filmen funktioniert. Nach 20 Minuten muss etwas passieren und der Spannungsfaden darf nie für längere Zeit unterbrochen werden. Kurz und gut, der Vulkan hielt sich an die alte Drehbuchregel. Just als das Starren begann langweilig zu werden, erschienen einige kleine rote Lichter auf der Kegelspitze, die wir mit lauten „Ahhs“ begleiteten und dann – ein Ausbruch! Funkensprühen, kleine Lavabäche und eine Sekunde später, ebenso beeindruckend, das Geräusch: wie Kanonenkugeln und Donner.
Zwei, drei dieser Feuerwerke sahen wir in dieser Nacht, dazwischen einige kleinere rote Lichter. Die Wörter „Ausbruch“ und „Vulkan“ aber lebten im Vokabular unserer Kinder noch ein paar Tage fort, obwohl sie nach dem ersten Ausbruch auf die Ladefläche des Pick-Ups kletterten, ihre Nachtruhe begannen und erst am nächsten Morgen wieder aufwachten. Ophelia sagte einmal im Schlaf: „Ich will meinen Vulkan“.
Mittwoch, 2. Februar 2011
Vom Kloster in die Schokoladenfabrik
Wir klopften am schweren Tor und eine junge Schwester des Betanien-Ordens öffnete uns und führte uns durch den Konvent und in die erzbischöflichen Gemächer. Eigenartig, dass sie von Bartolomé de las Casas noch nicht gehört hatte. Aber als wir vor dem Bild eines Heiligen standen, den ich für einen Engel hielt, erzählte sie uns die Geschichte eines guatemaltekischen Heiligen, der ein unerschrockener Prediger gewesen sein soll, weshalb er auf dem Bildnis an der Wand des Klosters Flügel hat.
Danach gingen wir – direkt gegenüber – in eine Schokoladenfabrik. Produziert wurde an diesem Tage nicht, aber wir durften trotzdem auf die Terrasse und den Ausblick auf Antigua genießen und Schokolade probieren, die es hier in runden 10 cm großen Scheiben gibt, die in Wasser oder Milch aufgelöst wird. Man kann sie in den Geschmäckern Zimt, Reis, Mandel oder Natur kaufen. Auf der Terrasse stand ein Tisch, auf dem eine Bibel lag. Die beiden Jungs, die uns bedienten, erzählten von ihrer Mutter, die in die Kirche gehe, sie selber interessierten sich nicht so dafür, Frauensache eben. Ich sagte, das wäre doch vielleicht auch für Jungs gut. Am Ende schenkten sie mir noch ein Paket Schokolade, das fand ich sehr rührend.