„Schreib mal schnell den Namen auf!“, seit Tagen waren wir
an Plakaten vorbeigefahren, die ein Konzert ankündigten. Facundo Cabral, der
Name sagte uns nichts, war auch schwer zu merken, aber der alte Mann sah gut
aus. Zuhause, auf youtube, hörten wir ein Lied von ihm: No soy de aqui, no soy
de allá, vom Anfang der 70er Jahre. Klang interessant, der Mann schien Kult zu
sein, aber der Termin war ungünstig. Wir verschoben die Entscheidung, vergaßen
es dann und hofften auf ein Konzert im nächsten Jahr.
Ich bin nicht von
hier, ich bin nicht von dort. Ich habe kein Alter und keine Zukunft. Und
Glücklichsein ist die Farbe meines Wesens.
Die Samstage beginnen bei uns meist so früh wie die
Arbeitstage. Ophelia und Laurenz stehen kurz nach 6 auf und wollen irgendetwas
essen. So auch am Samstag, den 9. Juli. Ich quäle mich aus dem Bett, mache
Herzcornflakes (von Quaker) und öffne am Rechner die Titelseite der
Tageszeitung, Prensa Libre. Es ist 6:26.
Während ich verschlafen auf den Ticker-Kasten starre, der meist mit Toten und
Verunfallten der letzten Nacht und Informationen über die
Juniorenfußballnationalmannschaft gefüllt ist, poppt eine neue Nachricht auf:
„6:28 Facundo Cabral auf dem Weg zum Flughafen erschossen“.
Ich bin gerne der
Freund der Diebe und liebe französische Lieder.
Die meisten guatemaltekischen Morde finden im Rahmen von
Erpressungsversuchen in den ärmsten Stadtvierteln statt. Das ist schrecklich, aber weit von unserer
Realität entfernt.
Ist doch alles möglich?
Wenn ich die Zeitung im Internet lese, dann immer auch die
Kommentare zu den schlechten Nachrichten, die stets voller Selbsthass sind:
„Ja, so sind wir Guatemalteken.“ „Wir
haben es nicht anders verdient.“ Nur
wenige Minuten nach der Veröffentlichung der Meldung begann ein Menschenstrom
zum Ort des Unfalls, wo das Auto mit dem Sänger noch stand. Manche hatten ihre
Gitarren mitgebracht und sangen sein berühmtestes Lied. Ein paar Händler, Bauern, Waschfrauen –
Leute, die eben grad dastanden, sangen mit. Sie kannten den Text der Strophen nicht
gut, schnappten aber immer irgendwelche Worte und Zeilen auf. Alle
guatemaltekischen Fernsehkanäle waren vor Ort. Eine Frau saß auf der Straße und
schrieb einen Brief. Man kam aus dem Heulen gar nicht mehr heraus.
Mir gefällt der Wein
ebenso wie die Blumen. Mir gefallen die Liebenden, aber nicht die Herren.
Nachdem der erste Schock überwunden war, war die wichtigste
Frage der Medien: „Wie steht Guatemala jetzt da?“ „Wir haben ihn getötet.“ „Überall wird man uns hassen.“ Der einzige
Unterschied zu sonst aber war, dass dieser Tod absolut keinen Sinn hatte.
Niemand konnte sich einen Reim drauf machen. Wer sollte davon profitieren? Einen 74jährigen Alten zu töten? Aber hatte er
nicht am Ende des letzten Konzerts gesagt: „Jetzt komme, was wolle. Gott weiß
schon, was er tut“?
Es gefällt mir von Balkonen zu springen und Fenster zu
öffnen. Und die Mädchen im April.
Am Ende machte doch alles Sinn. Wie sich herausstellte, war
Facundo Cabral, anstatt auf sein eigenes Taxi zum Flughafen zu warten, spontan
in das Auto seines nikaraguanischen Konzertveranstalters gestiegen, ein
40jähriger mit Nachtclubs in ganz Zentralamerika und einigen Feinden. Das war
das Todesauto, lange geplant von einem von ihnen aus Costa Rica. Auf dem Weg zum
Flughafen sollte er sterben. Aber der Konzertveranstalter überlebte schwerverletzt.
Wer starb, war Facundo Cabral. Und Guatemala war für ein paar Stunden
Gesprächsthema in der Welt.