Donnerstag, 8. September 2011

Zwischen Mittelalter und dreidimensionaler Werbung


Am Sonntag sind Wahlen
Manchmal erlaubt einem die Stadt Einblicke in die Vergangenheit und in die Zukunft. Während über die Plaza Central ein Hirtenjunge seine Ziegen treibt, ein anderer Eisblöcke abgereibt und den Schnee mit Sirup zu Wassereis verarbeitet, gibt es  in den Zonen südlich davon einige Neuerungen  im Straßenverkehr zu bestaunen, die man sich auch für Berlin wünscht. Die Ampel mit Zeitanzeige ist davon die beste. Anfangs erschien sie mir eher wie ein Spielzeug. Aber welch beruhigenden Einfluss sie auf das Gemüt des Autofahrers hat, habe ich erst mit der Zeit erfahren! Wäre ich in Berlin 200 Meter vor einer grünen Ampel würde ich in jedem Fall beschleunigen. Sie mag dann trotzdem vorher rot werden oder noch fünf Minuten grün bleiben.  Hier natürlich nur, wenn es sich lohnt. Auch kein Problem, wenn die Ampel rot ist! Anzeige: 47 Sekunden! Da kann man noch einen Schluck aus der Wasserflasche nehmen und das Handy in der Tasche suchen und den Stadtplan auf der richtigen Seite aufschlagen ohne zu befürchten, dass die Autos hinter einem anfangen zu hupen.

Die Oakland Mall, in die wir des Öfteren ins Kino gehen (und wo es ein Restaurant inmitten eines Aquariums gibt), hat eine mehretagige Tiefgarage. Nicht nur, dass es auf jeder Etage eine Anzeige gibt, wie viele freie Parkplätze dort sind, auch der Anfang jeder Parkreihe zeigt die Anzahl der darin befindlichen freien Parkplätze an.
Ins Fischrestaurant ohne Parkplatzprobleme
Außerdem hat jeder einzelne Parkplatz ein Lämpchen, das grün oder rot leuchtet, so dass man, wenn man in die Parkhausetage fährt, schon von weitem sieht, wo es sich lohnt, hinzusteuern.  Das gibt’s bestimmt auch in Berlin bald. Aber auf eine andere angenehme Verkehrsbeeinflussung werden wir in Berlin, wegen der Tarife im Öffentlichen Dienst, ewig warten müssen: Heere von miteinander verkabelten Verkehrspolizisten, die sich zu den Rush-Hours auf die Straßen stellen und bei Bedarf Vorfahrtsregeln ändern, Ampelphasen verlängern und sogar spontan die Spuranzahl mithilfe von Plastiktonnen erhöhen oder verringern um Knoten aufzulösen.

Das hilft, die irritierenden Dinge besser zu ertragen: Dass Blinken vor dem Spurwechsel nur einen vagen Wunsch ausdrückt, nur bloße Spielerei ist und nie dazu führen würde, dass die Autos auf der Nebenspur einen Raum öffnen. Wer unbedingt in die Nebenspur will, lässt das Fenster etwas herunter und wedelt mit der Hand, so als würde es den Blinker gar nicht geben. Deshalb blinkt auch niemand. (Die feineren Herrschaften wedeln natürlich nicht mit der Hand, die drängen einfach rüber in die andere Spur.)  Gerät man in einen Stau kann es passieren (ist aber noch nicht), dass ein junger Mann am Fenster klopft und um Herausgabe von Portmonnaie und Handy bittet. Das sollte man dann auch tun. Natürlich hat man für diesen Fall Sachen zum „abgeben“ im Auto, aber einen grässlichen Schrecken bekommt man trotzdem.

Ein unsinniger Trend, der bestimmt auch nach Berlin kommt, ist die dreidimensionale Werbung. Die große Tasse auf der Nespresso-Werbetafel dampft wirklich, das Johnny-Walker-Whiskyglas wird ständig geschüttelt, eine riesige Vinylschallplatte dreht sich ständig auf einer Pepsi-Werbung. Alle Werbeflächen scheinen mit Motoren verbunden zu sein – und das bei Energiepreisen wie in Berlin.
Den Jungen mit den Ziegen interessiert das nicht. Er ist aufgestanden, spricht mit dem Eisschaber, bekommt ein kleines Eis und geht langsam nach Hause.