Bericht von einer Wanderung in über
3.000 m Höhe,
die in einem viel zu heißen Thermalbad endete.
In Guatemala
ist man fast
immer im Gebirge. Die Hauptstadt liegt 1.500 m hoch; die Fläche
der Stadt
ist durchzogen von zahlreichen Schluchten. Es ist also sachlich
nicht richtig,
zu sagen: wir fahren ins Gebirge. Aber Anfang Dezember fuhren
wir - rein gefühlsmäßig
– doch in die Berge,
nämlich nach Quetzaltenango,
oder
einfacher und volkstümlicher Xela
(gesprochen: Schäla)
genannt. Die
zweitgrößte Stadt des Landes liegt auf etwa 2.500 m Höhe und ist
von vielen
hübschen Vulkanen und Bergen umgeben. Auf einen dieser Berge,
den Pico Zunil wollte
ich rauf, zusammen mit
Mathilda. Im Reisebüro mit dem völlig zutreffenden Namen Adrelanintours fragte ich nach einem Bergführer
und bekam mit dem
Führer auch einen neuen Weg, der acht Stunden dauern und viel
angenehmer als die
bloße Besteigung des Pico Zunil sein sollte, weil dieser Weg
hauptsächlich
abwärts führe. Wenn es also um 6 Uhr losginge, wären wir Mittags
im Thermalbad Las
Georginas, ein erstrebenswertes
Ziel. Also für morgen bestellt und bezahlt. Aber der
Tourenberater hatte sich
verschätzt: Am Ende kamen wir erst Abends abgekämpft am heißen
Wasser an.
Morgens
wartete Edwin am
Hotel. Katrin fuhr uns mit dem Auto
zum Cumbre de Alaska
auf eine Höhe
von ca. 3.000 m. Schon zu Beginn der Wanderung konnten wir auf
eine dichte
Wolkendecke herabsehen, die uns von der Stadt Xela trennte. Cumbre de
Alaska sieht so aus, wie es klingt: Karg, kalt und
trocken. Das Leben der
Menschen an diesem Ort, wo der Wind ungehindert um die Häuser
pfeift, muss hart
sein.
Vulkane von Antigua und Atitlan im Morgenlicht. Foto: Neuhaus |
Es war 7.30
Uhr, als wir
loswanderten, Mittags würden wir nicht am Ziel sein, sondern
nach optimistischer
Schätzung von Edwin etwa 15.30 Uhr. Wir sollten bald merken,
dass alle
Schätzungen Edwins optimistisch waren. Vor uns schlängelte sich
eine Hügelkette
in Richtung Pico Zunil,
ihr Kamm wäre
unser Weg. Gab es hier schon Überfälle?, frage ich unseren
Bergführer. Nein,
sagt er nachdenklich, aber er befürchte, dass die Gewalt aus der
Hauptstadt
sich irgendwann auch hierher ausbreiten und die wenigen
Touristen vertreiben
würde.
Der Weg über
die Hügel
ist etwas anstrengend, aber immer noch angenehm. Immer wieder
geht es aufwärts und
Edwin sagt dann gut gemeinte Sätze wie: Das ist jetzt der zweite
von drei
Anstiegen. Beim vermeintlich dritten sagt er: das ist jetzt der
vorletzte. Und
so geht das immer weiter. Er meint es gut.
Siete Cruces |
Der Kamm des
kleinen
Gebirges heißt Siete
Cruces, sieben
Kreuze. Ab und zu treffen wir tatsächlich auf ein aus Stein
gemeißeltes Kreuz.
Sie laden zu sportlichen Kreuzwegandachten ein. Noch dazu sind
wir Wanderer
zwischen zwei Welten. Wir gehen auf dem Monchon,
der Grenze zwischen zwei Regionen, in denen (neben Spanisch)
verschiedene
Sprachen gesprochen werden: Im Norden die Region Quetzaltenango,
wo man Quiché
spricht, im Süden Solola mit der
Sprache Tzutujil. Von
hier oben, weil
die Sicht gut ist, können wir noch mehr als diese beiden
Regionen überblicken.
Wir sehen im Süden nicht nur die Vulkane am Atitlánsee, sondern
sogar neben
andern den nahe der Hauptstadt gelegenen Vulkan Agua. Im Norden zeigt uns Edwin die Berge, die an
der Grenze zu
Mexiko sind. Es ist, als könnten wir von hier oben das ganze
Land sehen. Ein
Segelflug über die Berge kann kaum schöner sein.
Wie heißt
der Ort unter
uns? Das ist die geothermische Anlage, sagt Edwin. Hier wohnten
früher auch
Menschen, sie starben bei einer Explosion. Wie das? Die Anlage
fördert große
Mengen heißen Wassers. Ein Mann dreht jeden Abend den Hahn zu
und macht ihn
morgens wieder auf. Es geschah am Morgen nach einer heiligen
Nacht vor einigen
Jahren: Der Mann am Hahn hatte zu viel getrunken und am
Weihnachtstag
verschlafen. Zehn Familien kamen ums Leben. Was für ein bizarrer
Widerspruch an
dem Tag, wo die Welt die Geburt des Retters feiert! Wie
leichtfertig hier
menschliches Leben aufs Spiel gesetzt wurde.
Sehr müde Wanderer am Pico Zunil |
Je länger
wir wanderten,
je größer unserer Erschöpfung wurde, desto mehr bekamen wir zu
hören, was wir
hören wollten. Langsam tauchten wir abwärtssteigend in die
Wolkendecke ein. Wir
wanderten im Bergnebelwald. Die Vegetation veränderte sich. Der
Wald wurde
dichter. Immer mehr umgefallene Baumstämme kreuzten unseren Weg.
Märchenhaft –
der Nebel zwischen den Pinien und Tannen.
Erschöpfter
werdend,
fragten wir immer öfter nach der verbleibenden Wanderzeit. Ja,
jetzt sind es
noch höchstens drei Stunden. Noch drei Stunden?? Wir sind doch
schon sieben
Stunden unterwegs!! Ja, aber dann habt ihr es geschafft. Wir
kletterten,
gefühlt vertikal, einen steil abfallenden dicht wachsenden
Bambuswald hinab.
Während der Aufstieg Mathilda schwerer viel, hatte ich nun mehr
Mühe; Abstiege
gehen auf die Knie.
Nach zwei
Stunden waren
wir wieder horizontal unterwegs – in einem herrlichen Nadelwald.
War Georginas
Themalquelle nicht ganz in der Nähe? Ich wollte nicht mehr
fragen. Aber es gab
nichts, wo nach wir uns mehr sehnten als nach Bestätigung, dass
das Thermalbad
ganz nahe war, höchstens eine Stunde entfernt.
Ich bat
Mathilda zu
fragen. Fröhlich und wie nebenbei erklärte Edwin, dass jetzt das
letzte Stück
Weg beginnen würde, noch etwa zwei Stunden. Zwei Stunden? Nach
unserer Rechnung
dürfte es nur noch eine Stunde sein. Das Vertrauen in unseren
Führer war gestört.
Irgendwie waren wir zutiefst erschöpft. Diese Erschöpfung war
natürlich
körperlich. Aber wir empfanden sie vor allem als seelische
Erschöpfung durch zu
viele falsche Zeitangaben.Etwas zu heiß: Fuentes Georginas |
Das Thermalwasser war zum Baden zu heiß. Es ergoss sich kaskadenhaft von einem Becken in zwei weitere. Das Wasser im ersten, dem größten Becken war ideal zur Bereitung von grünem Tee (nicht ganz kochend!). Im zweiten konnte man es etwa fünf Minuten aushalten, bevor die Haut sich ablöste. Im dritten, dem kleinsten Becken, konnten wir eine Weile ruhig hocken. Und genau das war es, was wir, Mathilda und ich, einzig und allein tun konnten: eine Stunde lang in und außerhalb des Wassers ruhig zu hocken. Man nimmt hier das Wasser wie es kommt. Man nimmt die Dinge, wie sie kommen.