Mittwoch, 15. Juni 2011

Sich qualifizieren

"Eher hört die Gewalt in Guatemala auf, als dass wir uns für eine Fußball-Weltmeisterschaft qualifizieren“, ist eine der populären Kamel-Nadelöhr-Variationen hier im Land. Schon am 2. Tag des Sprachunterrichts hatte mir mein Lehrer (32 Jahre alt) gesagt, er hoffe, eine Qualifikation würde noch vor seinem Tode stattfinden. Zugegeben, die CONCACAF (Nord- und Zentralamerikanische und karibische Fußballkonföderation) ist nicht die leichteste Gruppe, denn es kommen normalerweise nur drei Mannschaften weiter, wobei die USA und Mexiko quasi gesetzt sind. Aber Honduras konnte es auch und Costa Rica. 2006 sogar Trinidad & Tobago!
Warum qualifiziert sich das Fußball-Land Guatemala nicht? Im Zweifelsfall lässt sich immer alles mit Korruption erklären. „Ach der mit den langen Haaren – so wie der den Ball neben das Netz gesetzt hat – den haben sie doch gekauft.“ Man fühlt sich ein bisschen in die DDR zurück versetzt und freut sich über die Sicherheit, mit der sich die deutsche Mannschaft immer wieder für alles qualifiziert.

Der Politiker Manuel Baldizón, ein relativ ernstzunehmender noch dazu, versprach Anfang März bei einer Wahlveranstaltung vor tausenden von Jugendlichen: „Wenn ich Präsident werde, wird sich Guatemala für die Fußball-WM qualifizieren.“ Ach, war das herrlich. Man sah noch tagelang Leute kopfschüttelnd mit Tränen in den Augen vor Lachen in ihren Autos sitzen. An was für verrückte Versprechen hatte man sich schon gewöhnt: "Arbeit für Alle", "Wohlstand für Alle". Und immer wieder ein "Ende der Gewalt". So mancher begann zum ersten Mal über den Sinn von Wahlkampfversprechen nachzudenken.

Eines Nachts Anfang April, wir wollten gerade ins Bett gehen, hörten wir einzelnes Gehupe am nahegelegenen „Obelisco“, einem der Verkehrsknotenpunkte der Stadt. Innerhalb von wenigen Minuten schwoll es zu einem tausendstimmigen Hupkonzert an. „Klingt wie Deutschland-England 2010 am Kudamm.“ Laptop auf, Zeitung online aufgeschlagen: soeben hatte sich die U-20-Mannschaft Guatemalas durch einen 2:1-Sieg gegen die USA für die Junioren-Fußball-WM qualifiziert. Die Reaktion hätte nicht gewaltiger sein können, wenn es die Alten gewesen wären. Stundenlang bis in den frühen Morgen zogen die Autos hupend um den Kreisverkehr, das Thema bestimmte die Titelseiten für mehrere Tage.

Am Tage der Auslosung dann für uns die Überraschung: Wann kommt das Los mit der deutschen Mannschaft? Wird sie gegen Guatemala spielen? Wie jetzt --- nein, das letzte Los war auch nicht "Deutschland". Deutschland hatte sich einfach nicht qualifiziert.

Anfang Juni wurde die bedeutendste Zeitung Guatemalas 60 Jahre alt. Sie schaltete eine Werbeplakat-Serie mit Fotos von Leuten und der wiederkehrenden Aussage „Mit Prensa Libre erlebte ich…“ und dann abwechselnd –
„... die Landung auf dem Mond“,
„... den Einsturz des World Trade Centers“,
„... die Unterschrift unter das Freihandelsabkommen“
– und natürlich „... die Qualifikation der Sub-20 für die Fußball-WM“.

O-Ton Qualifikation, letzte Sekunden des Spiels